Dienstag, 6. November 2012

Erster Rundbrief


Ende Oktober 2012

Erster Rundbrief

Liebe Unterstützer, liebe Familie, liebe Freunde und weitere Interessierte!

Nun bin ich seit knapp drei Monaten in Argentinien und Florencio Varela und es wird Zeit für den ersten Rundbrief. Dieser wird von meiner Arbeit bei der Fundación Angelelli und meinem Leben hier in Florencio Varela handeln.

Die Fundación Angelelli ist eine Organisation, die in Florencio Varela mehrere centros comunitarios (=Kinder- und Jugendzentren) hat. Sie wird hauptsächlich vom argentinischen Staat finanziert, was derzeit ein Problem darstellt, auf das ich im Laufe dieses Rundbriefes noch weiter eingehen werde.

Momentan arbeite ich an allen Tagen außer dienstags im barrio (=Vorort, Stadtteil) Bosques im centro comunitario. Wenn der Bau des Hauses im barrio Tres de Mayo abgeschlossen ist, werde ich im dortigen Zentrum arbeiten. Derzeit ist die Prognose, dass die Bauarbeiten in etwa eineinhalb Monaten abgeschlossen sein werden.                     
         Dienstags arbeite ich in der Casa Abierta, der Hauptstelle der Fundación Angelelli. Dort passe ich mit einer anderen Freiwilligen und zwei weiteren Mitarbeiterinnen auf die Kinder der Frauen auf, die an einem psychotherapeutischen Gesprächskreis teilnehmen, weil sie ihren Kindern nicht die Zuneigung geben können, die sie eigentlich bräuchten. Aus diesem Grund wird den Kindern in dieser Zeit die Möglichkeit geboten, all das zu tun, was sie sonst nicht können: Wir spielen und malen mit ihnen oder hören ihnen zu, wenn sie etwas erzählen möchten. Hierbei ist viel Einfühlungsvermögen gefragt, das sich merklich weiterentwickelt. Bisher ist die Arbeit dienstags meine liebste.                                                                                             Im centro comunitario in Bosques habe ich einen sehr varianzreichen Arbeitsalltag. Dieser umfasst die Austeilung des Mittag-, Abendessens und der merienda (= Kaffeetrinken, zu dem es meistens Tee und Brot gibt), die Unterstützung in den zumeist kreativen Aktivitäten wie Basteln, Malen, Singen und Tanzen sowie das Helfen beim Aufbau der alle vierzehn Tage stattfindenden feria americana (= Flohmarkt).


Beschreibung: C:\Users\Gabi\Pictures\Pictures\Argentina\3- Septiembre\10.09.2012 - Marcha La Plata\2012-09-10 Marcha en La Plata 10.09.12\Marcha en La Plata 10.09.12 051.JPGDie Fundación Angelelli ist eine politisch sehr engagierte Organisation. Dies konnte ich schnell bemerken, da der mes de las marchas (Monat der Demonstrationen) mein erster in Florencio Varela. Momentan besteht in der Provinz Buenos Aires nämlich das Problem, dass der Staat den sozialen Einrichtungen keine finanzielle Unterstützung mehr gibt. Deswegen wurde auch schon ein Projekt, in dem Freiwillige der Evangelischen Kirche des Río de la Plata arbeiten, geschlossen und in manchen Einrichtungen erhalten die Angestellten seit ein bis zwei Monaten kein oder ein stark verringertes Gehalt. Die Frau, die das centro comunitario in Bosques leitet, sagte, es sei nur noch bis Ende November genügend Geld da und wenn der Staat bis dahin nicht zahle, müssen auch die Zentren der Fundación Angelelli geschlossen werden.                                                                                                                                                     Zum politischen Engagement der Fundación Angelelli gehört auch das Radio Angelelli, das seit einem Jahr existiert. Es sendet jeden Samstag live, ansonsten werden Aufnahmen und Musik abgespielt. Jedoch steht es im ständigen Prozess der Erweiterung. So gibt es beispielsweise für die Frauen aus der dienstäglichen Gesprächsgruppe und ihre Kinder Kurse, um Radiosendungen vorzubereiten und durchzuführen.

Anfangs fiel es mir ziemlich schwer, mit der Armut der Leute im barrio umzugehen. Die Kinder und Jugendlichen, die in die Zentren kommen, tragen häufig schmutzige und kaputte Kleidung und auch am Umgang mit dem Essen und ihrer Sprache, kann man merken, dass die meisten von ihnen aus armen Verhältnissen stammen. Daraus folgt, dass man beispielsweise verstärkt Sensibilität dafür entwickeln muss, was man von sich erzählt und was man besser für sich behält.                                                                                                                                                          Viele der Kinder kennen keine Orte außer ihrem Heimatort und Buenos Aires Capital. Aus diesem Grund und wegen des hiesigen Schulsystems ist es nicht allzu verwunderlich, dass die Kinder und Jugendlich über kaum Fremdsprachenkenntnisse verfügen. Fragt man sie beispielsweise auf Englisch, das sie in der Schule lernen, nach ihrem Namen, verstehen sie nicht einmal die Frage oder dass man gerade auf Englisch mit ihnen redet. Deshalb plane ich, bald im Zentrum Englisch-Unterricht anzubieten.                                                                                                                           Insgesamt bin ich schon jetzt froh, diese Erfahrung hier machen zu dürfen. Denn sie sensibilisiert mich und regt mich zum Hinterfragen des alltäglichen Lebens sowohl in Deutschland als auch in Argentinien an.

Auch auf zwischenmenschlicher Ebene ist das Leben hier anders als in Deutschland. Die meisten Menschen bringen einem eine sehr große Herzlichkeit und Offenheit entgegen und es gibt eine andere Wertvorstellung. Das soziale Leben hat einen höheren Wert, sodass es zum Beispiel selbstverständlicher als in Deutschland ist, dass im Bus die Sitzplätze für Kinder, Schwangere, Behinderte und alte Menschen geräumt werden.                                                                                                                           Ein weiteres Thema, das wegen der teils geringeren Sicherheit als in Deutschland fragwürdig ist, ist das Vertrauen. Einerseits sagen viele Leute, dass man hier niemandem vertrauen sollte. Andererseits verlangen viele, ein Vertrauen entgegengebracht zu bekommen, das man auch in Deutschland nicht ohne weiteres hätte. Beispielsweise wollte der Hausmeister des Hauses, in dem ich mit einer anderen Freiwilligen wohne, dass wir ihm in der ersten Woche, die wir hier wohnten, zwecks Reparaturarbeiten einen Schlüssel hinterließen, da wir zu der Zeit arbeiten mussten, zu der er die Handwerksarbeiten machen konnte.

Mein Castellano hat sich in den vergangenen drei Monaten merklich gebessert. Mittlerweile verstehe ich das Meiste und kann den Großteil der Dinge, die ich sagen möchte, ausdrücken. Allerdings sind meine Gesprächspartner meistens aus demselben oder einem ähnlichen sozialen Milieu, weshalb ich zusätzlich einen Sprachkurs mache, um auch Gespräche über komplexere und politische Themen verstehen und führen zu können. Dafür interessiere ich mich nämlich sehr und ich möchte mehr über den politischen Hintergrund Argentiniens erfahren und das System besser verstehen können.

Seit kurzem bin ich in einem Volleyball-Verein, dem Club Varela Junior. In meiner Mannschaft spielen gleichaltrige Mädchen und Jungen, die mich sehr herzlich in ihre Gemeinschaft aufgenommen haben. Daraus erhoffe ich mir, mehr Einheimische kennenzulernen und somit ebenfalls Facetten der argentinischen Kultur besser kennen und verstehen zu lernen.

Hoffentlich konnte ich Ihnen und Euch mit diesem Rundbrief einen einigermaßen guten Einblick in mein Leben hier in Argentinien geben! Über Antworten und weiter führende Nachfragen würde ich mich freuen.

Viele Grüße und alles Gute aus dem langsam wärmer werdenden Argentinien,
Ihre / Eure Gabriele Höner

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