Ende Januar 2013
Zweiter Rundbrief
Liebe Unterstützer, liebe Familie, liebe Freunde und weitere
Interessierte!
Für mich ist es unglaublich, wie
schnell die Zeit hier vergeht. Nun bin ich seit einem halben Jahr in
Argentinien und habe eine Menge erlebt. Dieser Rundbrief soll über meine
Eindrücke bezüglich des Landes Argentinien, seiner Kultur, seiner Politik und
der hier ausgeübten Religionen informieren.
In Argentinien gibt es jegliche
Landschaftszonen, was bei einer Fläche von 2.780.000 km² kein Wunder ist.
Deutschland hat – zum Vergleich – eine Fläche von 357.000km² und ist somit
sogar kleiner als Gran Buenos Aires mit seinen ca. 400.000km². Allerdings
wohnen in Deutschland fast doppelt so viele Menschen wie in Argentinien.
Allein
in Gran Buenos Aires wohnen etwa 12.000.000 der 41.000.000 Einwohner
Argentiniens. Denn hier ist das Zentrum des Geschehens: Die meisten und besten
Universitäten sind in Buenos Aires, die Hauptsitze vieler Firmen sind hier, die
wichtigsten politischen Entscheidungen werden in Buenos Aires getroffen.
Aus
diesen Gründen ziehen immer mehr Argentinier sowie Immigranten in der Hoffnung
hierher, Arbeit zu finden oder einen höheren Lebensstandard erlangen zu können.
Die Realität ist häufig leider eine andere: Es gibt nicht unendlich viel Arbeit
und die Region ist überfüllt. Somit ist die Schere zwischen Arm und Reich in
Gran Buenos Aires besonders stark bemerkbar. Dies ist sowohl moralisch als auch
sicherheitstechnisch betrachtet problematisch und berechnender Weise wird
dieser Zustand in der Politik teilweise ausgenutzt, worauf ich im weiteren
Verlauf dieses Rundbriefes noch etwas eingehen werde.
Vielen Leuten kommt, wenn sie an
Argentinien denken, als Erstes Tango und ein hoher Fleischkonsum in den Sinn.
Dass Tango ein Hauptkulturgut ist, stimmt nicht. Er ist beinahe nur in
touristischen Gegenden gegenwärtig und um einen Tangokurs machen zu können muss
man schon etwas suchen. Murga, ein
gesellschaftskritischer Tanz zu Trommelmusik, ist um Einiges verbreiteter.
Besonders in den Stadtteilen, in denen die Fundación Angelelli ihre Zentren
hat, ist Murga sehr präsent und auch
sonst bekommt man in der Öffentlichkeit viel mehr Murga und Reggaeton zu
sehen und zu hören als Tango. Das Vorurteil hinsichtlich des hohen
Fleischkonsums hat sich für mich bestätigt. Fleisch bekommt man hier äußerst
günstig zu kaufen und es ist mit den asados
(=Art Grillfest und traditionelle Zubereitung von Fleisch auf dem Grill) schon als ein fester Bestandteil der
argentinischen Kultur anzusehen.
Die
Mañana-Mentalität (=Aufschieben von
anstehenden Dingen und diesbezügliche Gelassenheit) ist hier allgegenwärtig,
was ich einerseits schätze, andererseits aber auch kritisch sehe. So kann es
beispielsweise sein, dass Reparaturarbeiten um Wochen oder auch Monate
aufgeschoben werden. Ebenfalls kann es bedeuten, dass reuniónes (=Treffen zur Besprechung von die Arbeit betreffenden
Themen) mate (=koffeinhaltiges
Heißgetränk auf Basis von Yerba) trinkend über Stunden abgehalten werden ohne
zu die Arbeit betreffenden Ergebnissen zu kommen. Es kann nämlich auch als
wichtiger empfunden werden, über Familie oder Freunde und deren Wohlergehen zu
reden. An manchen Tagen finde ich diese andere Wertvorstellung schön und die
damit verbundenen Gespräche sehr interessant, wiederum an anderen Tagen
frustriert es mich, ohne ein sichtbares Ergebnis von einer Stunden langen reunión nach Hause zu fahren.
Etwas
Anderes, das mir hier aufgefallen ist, ist, dass Umwelt- und Verbraucherschutz
in Argentinien weniger Wichtigkeit zugeschrieben wird als in Deutschland. Nach
jedem Einkauf hat man mindestens eine Plastiktüte mehr. Eine Mülltrennung im
eigentlichen Sinne wird nicht vorgenommen. Am Straßenrand wird in manchen Gegenden
jegliche Art von Müll verbrannt. Auch gibt es meistens keine
Verbraucherinformation über die Herkunft der Waren oder Tierhaltung. Was diese
Zustände angeht, frage ich mich manchmal, ob es nicht auch eine Art von Luxus
ist, den wir in Deutschland durch die vielseitigen Bildungs- und
Informationsmöglichkeiten genießen dürfen. Vielleicht sind aber auch andere
Probleme viel dringender zu lösen.
Argentinien ist eine
Präsidialdemokratie. Momentan ist Cristina Fernández de Kirchner Argentiniens
Präsidentin.
Da
im Herbst diesen Jahres die nächsten Präsidentschaftswahlen anstehen, läuft der
Wahlkampf auf Hochtouren. Zur Auswahl stehen Cristina Fernández de Kirchner,
deren mögliche Regierungszeit eigentlich schon um ist, Monica Pérez und Daniel
Scioli, der Präsident der Provinz Buenos Aires ist. Kirchner erschwert Scioli
derzeit sehr die Regierung der Provinz Buenos Aires, indem sie ihm die
finanziellen Mittel verweigert bzw. verringert. Das ist bei der Arbeit im
sozialen und erzieherischen Bereich vermehrt spürbar, da die Möglichkeiten an
Aktivitäten immer limitierter werden.
Cristina
Fernández de Kirchner eifert der „Mutter der Armen“ Eva Perón nach. Eva Perón
war die Ehefrau des ehemaligen argentinischen Präsidenten Juan Perón, der in
den 1940er-Jahren den Präsidentschaftstitel innehatte. Sie half den Armen und
galt als Frau des Volkes. Jetzt wird sie als eine Art Göttin gefeiert. Diesen
Titel scheint Kirchner anzustreben, indem sie den sozial schlechter Gestellten
Versprechungen macht oder Aktionen anzettelt, die jedoch beinahe nie zu dem
versprochenen Ergebnis führen und letztendlich häufig sogar den sozial
schlechter Gestellten zum Nachteil werden. Beispielsweise wurde auf freiem Land
in einer Region, wo viele Landbesetzer ihre Holz- oder Wellblechhütten bauen,
vom Staat ein Häuserkomplex gebaut. Allerdings wurde bei der Konstruktion der
Boden unbeachtet gelassen, sodass diese Häuser jetzt nicht bewohnbar sind, der
Platz aber weg ist.
Bevor ich nach Argentinien kam,
dachte ich, hier wäre die Mehrheit katholisch und sehr gläubig. Die Realität
sieht – zumindest in Gran Buenos Aires – anders aus. Es gibt viele kleine
Glaubensgemeinschaften, von denen aus deutscher Sicht bestimmt einige als
Sekten angesehen würden. Außerdem scheint es mir eine beträchtliche Menge an
Menschen zu geben, die an nichts Bestimmtes glauben.
Hoffentlich konnte ich anhand
dieses zweiten Rundbriefes einen kleinen Einblick in mein Leben in Argentinien
und meine Eindrücke des hiesigen Geschehens geben. Über Antworten freue ich
mich sehr und bin auch gerne für Nachfragen offen!
Alles Gute und viele sommerliche
Grüße,
Ihre / Eure Gabriele Höner
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen